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Workshop 1.2 Ethische Fragen der Versorgung psychisch Erkrankter in verschiedenen Lebensphasen

Vulnerable Gruppen: Kinder und Jugendliche

Prof. Dr. Renate Schepker, Bad Schussenried

Die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen werden in aktuellen Gesetzgebungsverfahren immer wieder nur marginal beachtet oder ganz ausgeklammert. Der Regierungsentwurf zum PsychVVG erwähnte ursprünglich die spezifischen Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen nur einmal in der Begründung. Hier ist es in letzter Minute gelungen, noch wesentliche Veränderungen einzubringen (Berücksichtigung medizinischer Spezifika von Kindern und Jugendlichen; Fachabteilungsdifferenzierung). Ebenso ist bei der Planung von Krankenhausstandorten und insbesondere für die Umsetzung von Modellen eine besondere Berücksichtigung der Ausgangslage bei Kindern und Jugendlichen unabdingbar, wenn wir nicht letztendlich bei gemeindefernen Großkliniken als rentablen Einheiten enden wollen. Die Wahrung der Kinderrechte durchzieht ebenfalls die Diskussionen um forensische Unterbringungen, um die Gewährleistung von Bildung während stationärer Aufenthalte oder um die Zuständigkeiten für sogenannte „Kinderpsychosomatiken“.

Ein weiteres aktuelles Beispiel sind die Eckpunkte des Bundesministeriums für Gesundheit zur Novellierung der Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten. Kinder und Jugendliche werden mit keinem Wort erwähnt, obwohl durch die geplante Novellierung der eigenständige Beruf des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten abgeschafft werden wird.

Der Beitrag befasst sich auch mit dem Referentenentwurf zu einer Änderung der Grundlagen von geschlossenen Unterbringungen und Behandlungsmaßnahmen mit Zwang im Rahmen des § 1631 b BGB, wo die rechtliche Situation bei Kindern und Jugendlichen erheblich von der bei Erwachsenen abweicht und die rechtliche Stellung von Kindern gegenüber ihren Eltern ein ethisches Dilemma darstellen kann.

Abschließend wird noch auf den Mangel an wissenschaftlichen Studien und Erkenntnissen und damit auch an Leitlinien-relevanten Befunden im Kindes- und Jugendalter hingewiesen.

Vulnerable Gruppen: Ältere Menschen

Prof. Dr. Tillmann Supprian, Düsseldorf

Der demografische Wandel wird in den kommenden Jahrzehnten den Anteil hochbetagter Menschen in der Bevölkerung weitere anwachsen lassen. Dieses wird bedeuten, dass so-genannte Ein-Personen-Haushalte („Single-Haushalte“) von älteren Menschen zunehmen werden. Dem Wunsch auf ein selbstbestimmtes Leben im Alter steht die wachsende Zahl Demenzkranker gegenüber, die häufig ihre Erkrankung selbst nicht bemerken und im Falle des Alleinlebens in prekäre Lebenslagen geraten können. Gerontopsychiatrische Versorgungsmodelle müssen diese Gruppe der alleinstehenden Menschen, die ggf. ohne Angehörige leben, verstärkt berücksichtigen. Ein ethisches Dilemma ergibt sich daraus, dass die Mehrheit der älteren Menschen möglichst bis an das Lebensende in der gewohnten häuslichen Umgebung verbleiben möchte - ggf. auch alleine. Ein Teil dieser Menschen wird eine Demenzerkrankung entwickeln. Allerdings suchen die Betroffenen von sich aus häufig nicht Hilfe. Die Diagnose einer Demenz macht umfangreiche Hilfeleistungen erforderlich und steht in vielen Fällen dem „Single-Leben“ entgegen. Die Versorgung allein lebender Demenzkranker birgt Risiken, die sorgfältig beachtet werden müssen. Bislang stehen Versorgungskonzepte für allein lebende Demenzkranke nur in sehr begrenztem Umfang zur Verfügung.

Vulnerable Gruppen: Psychisch Erkrankte mit Kinderwunsch

Prof. Dr. Wolfgang Jordan, Magdeburg

Ethische Fragen der Versorgung psychisch Erkrankter mit Kinderwunsch stellen sich auf den drei Ebenen des Gesundheitssystems.

Auf der Systemebene werden Themen wie gesellschaftliche Haltung, Stigmatisierung und Verantwortung der Eliten, auch im historischen Bezug (z.B. einseitige Medikalisierung, inhumanes Menschenbild, eugenisch begründete Sterilisationsgesetzgebung), berührt und eine neue Orientierung der Psychiatrie in der Philosophie abgeleitet.

Auf der Strukturebene ist eine Fragmentierung des Gesundheitssystems mit Institutions- statt Patientenorientierung ersichtlich, welche zur Abwehr berechtigter Leistungen, Fehlversorgung führt und Kosteneffizienz sowie Weiterentwicklung gleichermaßen behindert. Qualitätsstandards sollten eine Versorgung aus einer Hand berücksichtigen, wie sie für psychisch Kranke mit Kinderwunsch oder als Eltern erforderlich ist. Beispielhaft sind eine spezialisierte Mutter-Kind-Behandlung oder ein psychosoziales Zentrum für Familientherapie angeführt.

Die Individualebene betrifft die Patientenschicksale „Mutter (und Vater)“ sowie „Kind“. Aus den spezifischen Erfordernissen der Konstellation psychiatrische Erkrankung und Kinderwunsch (z.B. fehlende Partnerschaft, Subfertilität, Verhütung, Medikation, Reduktion psychosozialer Belastungen, Schwangerschaftsberatung/–betreuung, Angst vor Sorgerechtsverlust, akutes Krankheitsrezidiv, Elternschaft/Erziehung) ergeben sich vielfältige Interventionsmöglichkeiten. Das Patientenschicksal „Kind“ erfordert eine altersabhängige differenzierte Prävention, eine frühzeitige Förderung/Unterstützung, spezifische Hilfen und eine qualifizierte Behandlung der elterlichen Erkrankung. Der „Ethische Therapeut“ beachtet die „sozialen Menschenwürde“, ermöglicht eine Bedeutung für Andere, verhindert aktiv Ausgrenzung und richtet sein Wirken an Tugenden aus.

Der „Ethische Kompass psychiatrischer Elternschaft“ bewegt sich zwischen den Dimensionen Selbstbestimmung [Autonome reproduktive Entscheidung (für und gegen Elternschaft)], Fremdbestimmung [Zwangssterilisation/-adoption, Sorgerechtsentzug], Eigensinn [Sichere Verhütung, Problematisierung der Risiken für Kinder psychisch Kranker] und Gemeinsinn [Fürsorge gegenüber der betroffenen Person und/oder (ungeborenes) Kind mit einer beschützenden Rahmensetzung entsprechend des Entwicklungs-/Krankheitsstandes]. Es ist an uns, das Ausmaß dessen zu bestimmen.

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